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B-sploitation / Rough Trade

Single: Abserviert (VÖ: 07.03.2014)

Album: Bye (VÖ: 04.04.2014)

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Es sind weder Goethe noch Grass, die vergilbt von der brennenden Sonne auf dem Armaturenbrett nach Aufmerksamkeit dursten. Was hätten die auch in den Bildern zu suchen, die in nonchalanter Eindrücklichkeit einen neuen Bela B aus der Bingo- und Code B-Asche steigen lassen. Mit Smokestack Lightnin’, Peta Devlin, Seatsniffer Walter Broes und Lynda Kay in weiteren Hauptrollen lässt Bela B auf BYE seinen Sonnenhut tragenden Protagonisten von Nudie Cohn-Anzügen und 1950er Lincoln- Limos träumen. Die Filmrolle auf dem Beifahrersitz trägt die Aufschrift Heartworn Highways und im Autoradio plärrt in Mittelwellenfrequenz Love Robbing Banks vom ehemaligen Knastbruder David Allan Coe. Er, der Outlaw, spuckt aufs Redneck-Lager. Er war schon Punk, er war schon cool, bevor derlei Begrifflichkeiten ins verbale Alltagslogo Einzug hielten und verdreht wurden. Er kennt das literarische Werk von Kinky Friedman. Er versteht die Liebe instinktiv als letzte Bastion der individuellen Anarchie. Die entzündet beim Streichholzmann das Aufbegehren gegen die Angst vor dem Unbekannten, sie lässt Abserviert in Northern-Soul-Hoffnung kulminieren und in My Soul/Dein Herz ist sie eine höhere Macht als der Allmächtige. Aber aufgepasst, Rebellen, die ihr euch zum Twist
und zum Line Dance vor Bye versammelt habt! Sehnt Ihr euch in eurem selbstverliebten Antagonismus nicht nach moralischer Stütze? Bye verteilt keine Gebote, aber wenn man unbedingt einen Ratschlag sucht, könnte man die Anleitung zum Idealismus finden – auch im Musikalischen.
Selbstverständlich bedienen Bela B, Peta Devlin und Smokestack Lightnin’ nicht die Unsitte, einen Chart-Hit im Rockabilly-Style zu spielen. Und wenn, dann nur als Parodie. Aber das ist eine B-Seiten-Geschichte…

„They told me to be nice, I don’t know what they meant“

Prize the Los Helmstedts! Die Truppe, die Bingo entscheidend und Code B ein bisschen weniger entscheidend mitprägte, hat Spaß gehabt, als sie mit Bela B auf Tour war. Aber sie war nie eine Band. Praise Smokestack Lightnin’! Wie weiland bei Chuck Berry, der ortsansässige Bands anheuerte, wenn er außerhalb der Staaten unterwegs war, stand vor den Bye-Aufnahmen der Wunsch, mit Musikern zu arbeiten, die einen definierten Gruppen-Sound besitzen und als Band grooven. Die Smokestacks – Bernie Batke, Michael Kargel, Axel Brückner, André Langer und bis neulich noch Frieder Graef – kennen ebendieses Rollenverständnis als Backing-Band von Eddie Angel. Auf Bye sind sie bedeutend mehr. Wer weiß, ob Django Reinhardt ohne ihre Arrangeur-Kunst im Geiste an die Studiotür geklopft hätte, um sich für Immer so sein als Banjo-Spieler empfohlen zu haben. Oder ob Willy De Villes Spirit zum Mariachi von Peng! und durchzuckt von Streichern im 60er-Jahre-Lee Hazlewood-Gusto, die goldenen Vorderzähne hätte blitzen lassen. Peta Devlin macht sich als musikalische Ratgeberin in allen Lagen und als Duett-Partnerin unverzichtbar auf Bye – und darüber hinaus. Längst ist zwischen Bela B, Smokestack Lightnin’ und Peta Devlin von einer erlösenden musikalischen Dreiecksbeziehung die Rede, deren Regent mit amourösen Botschaften nicht hinterm Berg hält: „…ich hab’ ’nem Transvestiten meinen Herpes geschenkt…“. Subtiler geht’s nur noch musikalisch. Psychedelische Zitate, Hammond-Sounds und die Zwölfsaitige mehrdimensionieren die musikalische Bye-Bildersprache. Das Filmische verlangt nach Weite und auf Bye spielt die Musik eine Geschichte von Größe.

„One, two, you know what to do“

Americana the beautiful! Auch Lee Hazlewood wird Americana, dem Definitionen trotzenden Sammelsurium jenseits amerikanischer Top 40-Music, zugeordnet. Kein Wunder, dass Bela B dieser musikalische Schmelztiegel, gelinde gesagt, ganz angenehm ist. Den Gesamteinfluss amerikanischer Musik auf die Welt stellt aber auch Americana im Zeitalter der Retro-Reigen nicht weniger übertrieben
idolisierend dar. Bye als Country-Platte zu bezeichnen, wäre eine an Frechheit grenzende Stigmatisierung. Serge Gainsbourg war ja auch nicht nur französischer Nationalheld, sondern Talisman für alle nichtfrankophonen Individualisten, mit und ohne nikotingelbe Fingerkuppen. Gute Omen, Glücksbringerinnen säumen die Highways und Dirt Tracks, auf denen Bye paradiert. Taktzähler blieben der Musikwelt bislang als sexy Sinnlichkeitsmerkmale verborgen. Bye bricht mit diesem Tabu, besetzt die Einzähler ausnahmslos weiblich und befreit sie aus ihren funktionalen Rollen. Die Arbeit, die Bela B auf sich nahm, um Lucinda Williams, Eleni Mandell, Gin Wigmore, die deutsche Stimme von Lisa Simpson und Wanda Jackson auf seinem Album wissen zu können, grenzt an Liebe. Bye geht selbstverständlich das Risiko ein, als Huldigung verstanden zu werden. Gott, Elvis und sechs Saiten.

Bela B ist großer Fan seiner neuen Platte… wäre ja auch schlimm, wenn nicht. Er hat sie überall gehört, immer wieder aufgelegt, im Auto, nebenbei – woneben sei nicht verraten – und, ja wirklich, er ist ganz glücklich mit Bye. „Bye“ könnte am Anfang einer Neubegegnung mit dem besten Freund stehen, der losgelöst von alten Strukturen noch unverzichtbarer, weil freier wird. In den Gegenden, wo Glamour mit einer dicken Staubschicht belegt ist und „Howdy“ zur Begrüßung gerufen wird, markiert ein lakonisch hingeschmettertes „Bye“ aber auch vorübergehenden Abschied. Wo das genau ist? Musikgeografisch lässt sich bye nur ungenau einordnen. Zum Glück! Vielseitig orientierte und wache
Künstlerherzen eignen sich bestenfalls widerborstig als Graphen zur Darstellung scheinbar disparater musikalischer Vorlieben. Es wäre entsprechend so anmaßend wie unzutreffend, dem Titel des dritten Bela B-Albums die Deutung „be your enemy“ in die Cowboystiefel zu schieben. In denen steckt jene extravagante Eleganz, die der Beobachtung von Belphegor durch den Chevy Van-Rückspiegel eine gewisse Lustübung zuschreibt. Oder war da, auf dem Rücksitz, ein Spermafleck, der mit herzergreifendem Sentiment betrachtet wird? Das Pathos bricht sich dramatisch-kapriziös seinen Weg zur Romantik, die auf Bye viele Gesichter hat: Selbstmitleidig, zu allem entschlossen, reflektierend, ichbezogen. Wer in der Platte die Geschichte einer autobiografisch geprägten Charakterisierung ausmacht, kann sie gerne in den Psychogramm-Schredder schicken. Mit dem Kopf durch die Wand ging Bela B vor knapp einem halben Jahrzehnt. Nach der Solo-Kunstpause klingt seine Musik so herrlich frei und unbeschwert wie eine frische Liebe.